2. Interview "Tango Danza"

Roberto Herrera - Buenos Aires, Mailand, München

Interview in der Tango Danza 2021 - von Susanne Mühlhaus

Tango Argentino lernen in München mit Privatunterricht und Privatstunden

Mit dem Namen Roberto Herrera verbindet man den berühmten Showtänzer, der mit dem Orchester Osvaldo Pugliese um die Welt tourte und in unzähligen Shows tanzte. In Europa hatte er lange seine Basis in Mailand, leitete dort eine Tango-Akademie im Teatro Parenti – neben einer Tangoschule in Buenos Aires zusammen mit seinem Bruder. Seit zwei Jahren ist er in München ansässig und traf dort unsere Autorin Susanne Mühlhaus.

 

 

1993 war Roberto zum ersten Mal in der bayrischen Landeshauptstadt, als er mit der Show Tango Pasión im Deutschen Theater gastierte. Rund zehn Jahre später kehrte er nach München zurück, trat auf Festivals und später mit seiner Show El Tango im Gasteig auf. Dort sah ihn Anabella Belmonte und holte ihn als Gastlehrer regelmäßig in ihr Studio Tango Anabella.

 

Bei einem dieser Aufenthalte lernte Roberto 2019 Ani Andreani kennen – kein Jahr später läuteten bereits die Hochzeitsglocken.

 

Und dann machte dem frischgebackenen Ehepaar Corona einen Strich durch die Lebensplanung. Ursprünglich wollten beide in Mailand leben. Gerade hatte Roberto eine monatliche Milonga im Teatro Parenti etabliert.

 

Auf dem Programm standen Live-Musik, argentinische Tangokultur, Ausstellungen, Themenabende, Gastlehrer ... da mussten seine beiden Akademien vor knapp zwei Jahren aufgrund des Lockdowns schließen.

 

Roberto zog von Mailand nach München und ist nun das „Aushängeschild“ von Anis Schule Tango Genial. Nach 40 Jahren kontinuierlichen Reisens von einem Festival zum nächsten ist er ganz froh, auch einmal zu bleiben, möchte weiter in München und ab und zu in Mailand unterrichten und mit Ani Shows tanzen.

 

 

Die Gebrüder Herrera
Wenn Roberto nicht in Buenos Aires ist, leitet sein Bruder Estanislao, ebenfalls ein bekannter Tangotänzer und Lehrer, die Herrera Tango Academy in der Avenida Belgrano, Ecke Sarandí. Die Brüder wechselten sich mit der Arbeit in Buenos Aires und Mailand ab. Roberto verbrachte bislang etwa acht bis neun Monate im Jahr in Mailand und den Rest auf Tour.

 

Estanislao hat vor kurzem die Akademie in Buenos Aires wieder geöffnet. Argentinien steckt seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise und wurde durch die Pandemie zusätzlich geschwächt. „Ich glaube, es wird noch Jahre dauern, bis sich das Land wieder erholt“, befürchtet Roberto.

 

 

Tangoweltmeisterschaft
Immerhin konnten die diesjährigen Tango-Weltmeisterschaften wieder als Präsenzveranstaltung stattfinden.

 

Seit 2003 ist Roberto regelmäßig Jurymitglied in den beiden Kategorien „Tango de Pista“ und „Bühnentango“. Rückblickend auf die diesjährige Meisterschaft sagt er mit leicht beleidigtem Blick:
„Es ist oft mal frustrierend, wenn die Weltmeister zu sehr auf Show setzen. Sie definieren den Wettbewerb zwar mit einer guten Choreografie, aber man erkennt wenig von dem, was man auf der Milonga sieht – in der Kleidung.“
Zudem ist er besorgt:
„Uns als Argentiniern bleibt oft nur noch der Platz in den weniger angesehenen Provinzen und Außenbezirken. Die großen Titel gehen fast nur noch an internationale Vorstellungen.“

 

Viele Schülerinnen und Schüler trainieren gezielt für die Weltmeisterschaft.
„Und man sieht bei vielen, wie sie sich nur noch über die Auszeichnung definieren. Bei den älteren Tänzern aber ist lange Entwicklung durch jahrelangen Tanz spürbar“, sagt Roberto.

 

 

 

Die Jungen und die Alten
„Ein älterer Mensch hat in seinem Leben schon mehr mitgemacht. Das zeigt sich im Tanz. Man hört mehr Gefühl ausdrucksvoll, während die Jüngeren in Schritte und Kombinationen flüchten.
Ein junger Tänzer berührt, so findet Roberto, „wo und wie der Weltmann in eine Milonga geht, die Leute tanzen Schritte, sie gehen nicht mehr, und das ist sehr schade“, weil die Musik einen doch dazu inspiriert, zu gehen. „Wer früher Tango lernte, der wusste: es passiert, dass er erst mal ein ganzes Jahr lang nur gehen musste.“

 

Auch Roberto und sein Bruder schauten sich an Milongas erst mal zu, auch auf Monate lang. „Es braucht Mut, zuzugeben, dass man sich noch nicht auskennt.“

 

„Viele Männer schämen sich, wenn sie auf einer Milonga stehen, obwohl sie wissen, dass sie noch nicht bereit sind“, ergänzt Roberto. „Schließlich bleibt der erste Eindruck.“

 

Er warnt auch davor, dass es durch den neuen Tangoboom eine „unglaubliche Eile“ gibt, viele Tänzerinnen sind schneller auf der Milonga als die Männer tanzen lernen.

 

„Ich finde, es gibt zu wenige junge Männer, denen man ein gutes Vorbild zeigt.“

 

Wenn aus jungen Männern rasend schnell „Lehrer“ werden, kritisiert er das: „Es gibt Lehrer, die sagen, man müsse einfach machen. Aber gut wird es etwas langsam.“

 

Wenn also ein Schüler mit einem stabilen Schritt kommt, dann würdigt er das mit großem Lob.
„Ich finde, daran mangelt es in Deutschland, den Fortschritt des Schülers beständig anzuerkennen.“

 

 

 

Unterricht
Viele Leute haben sich während der Pandemie verschlossen, meint Roberto. Ani und er gaben Online-Unterricht vor allem, um mit Schülern im Ausland in Kontakt zu bleiben.

 

In München gibt es derzeit wieder Präsenz-Privatunterricht und Gruppenunterricht für Folklore.

 

Da kommt meist ein Argentinier, „die Gelegenheit nicht zu verpassen“, sagt er. Er selbst tanzt und macht so viel wie möglich.

 

Sein Unterricht teilt er in drei Teile:
Arbeit an der Balletteinstellung, um die Körpermitte zu verbessern, an Übungen für die Körperwelle, um schließlich alles zusammen mit dem Tanz umzusetzen.

 

Aus eigener Erfahrung weiß er, wie schwierig es für Kinder ist. Als er mit Folklore anfing, sagte ihm eine Lehrerin sehr ehrlich:
„Sie sagte mir, dass ich hier niemals gut würde – weil ich einfach kein Rhythmusgefühl habe.“

 

Dabei hörte er die Musik nur nicht. „Kritik gewöhnt man sich ab, wenn man nichts daraus lernt. Ich wusste, es war wahr – aber ich wollte trotzdem tanzen.“

Heute geht Roberto geduldig mit seinen Schülern um – gerade mit denen, die das Gefühl haben, nicht genug Talent mitzubringen.
„Ich zeige ihnen lieber, wie sie etwas verbessern können, anstatt sie zu entmutigen“, sagt er.

Im Gegensatz zu anderen Tänzern wie Juan Carlos Copes begann Roberto Herrera direkt als Bühnentänzer, bevor er Milongas besuchte. Heute unterrichtet er bereits als Archivar für Folklore.
In seinem Repertoire findet sich also nicht nur Tango, sondern viel mehr: Malambo, Chacarera, Zamba – und natürlich Tango Argentino, von der Basis.
„Wenn ich eine Ronda beobachte, sehe ich, wer ein echter Tänzer ist und wer nicht“, erklärt Roberto.
„Die gute Führung erkennt man am Rhythmus, nicht an der Figur. Die besten Führenden tanzen oft schlicht, verstehen aber das soziale Zusammenspiel.“

Wenn er auf der Bühne steht, hat das Publikum keine Ahnung, wie berührend und tiefgründig der Tango ist.
„Die spektakuläre Effekte und Schritte, die wir auf der Bühne zeigen, sind das eine – die musikalische Verbindung auf der Milonga das andere.“
Ein Schüler fragte ihn einmal: „Warum verschwinden die Profis von der Tanzfläche, sobald sie bekannt werden?“
Roberto lacht: „Weil das auf Dauer einfach nicht funktioniert. Nicht nur, weil sie erkannt werden, sondern auch, weil man als Profi-Tänzer, der auf Shows und Festivals gebucht wird, einfach keine Zeit mehr hat.“