1. Interview "Tango Danza"

Roberto Herrera - Vielseitiger Tänzer in der Tradition Antonio Todaros

Interview in der Tango Danza 2006 - von Fabian Kasten

argentinischen Tango lernen, echten Tango Argentino lernen

 Roberto Herrera ist seit über 30 Jahren Profitänzer, einer der sowohl den Folkloretanz als auch den Tango beherrscht wie kein Zweiter. Ein Jugend-Talent-Wettbewerb brachte Herrera bereits im Alter von 8 Jahren dazu, Folkloretanz zu lernen. Mit 17 zog es ihn nach Buenos Aires, wo er in einer der besten Folklore-Kompanien Argentiniens, der Kompanie von [Santiago Ayala "EL Chucaro" und] Norma Viola, aufgenommen wurde. Wenig später entdeckte er den Tango und tauchte ein in die Mitte der 80er Jahre noch von alten Milongueros beherrschte Welt der Milongas von Buenos Aires. Sein Tangohandwerk lernte er von dem genialen Schritte-Erfinder Antonio Todaro, der so vielen Bühnentänzern den Weg in die Profikarriere geebnet hat. Seitdem ist seine Folklore- und Tangokarriere eine Erfolgsstory mit Filmauftritten, Bühnenengagements und Reisen zu Tangofestivals rund um den Globus. Ob als Tänzer in der Show „Tango Argentino” oder später in der Show „Tango Pasión”, ob als Tänzer des Orchesters von Osvaldo Pugliese - Herrera hat in den wichtigsten großen Tangoshows getanzt und er war mit vielen herausragenden Orchestern auf Tournee, unter anderem mit Julián Plaza und Leopoldo Federico. Im Herbst 2005 besuchten Herrera und seine Partnerin Rocio Leguizmon, die ne ben dem Tango auch zeitgenössischen und klassischen Tanz unterrichtet und tanzt, das 3. Internationale Tangofestival in München, wo beide begeistert gefeiert wurden. Fabian Kasten hatte dort die Gelegenheit, mit Roberto Herrera zu sprechen.

 


Roberto, wie bist du zum Tanzen ge kommen?
Roberto Herrera: Das war eigentlich Zufall. Ich komme zwar aus der Argentinischen Jujuy, einer Gegend, in der traditionell viel Folklore getanzt wird, aber meine Eltern sind weder Künstler noch Profitänzer, insofern habe ich mich selbst für eine Tänzerkarriere entschieden. Der Auslöser war ein kulturelles Jugendtreffen mit dem Titel „Camp Eva Perón” in Cordoba mit Jugendlichen aus ganz Argentinien. Damals war ich acht Jahre alt. Dort gab es eine „Nacht der Talente” und ich habe Folklore vorgetanzt. Zurück in Jujuy machte ich dann eine richtige Ausbildung als Folklore-Tänzer. Mit 16 Jahren zog es mich dann nach Buenos Aires, weil ich unbedingt in das bekannte Folklore-Ballett von Norma Viola und Santiago Ayala („El Chúcaro”) aufgenommen werden wollte. Das hat auch geklappt.

 


Du bist seit langem ein erfolgreicher Folkl re-Tänzer, wie wir eindrucksvoll beim 3. Internationalen Tangofestival in München sehen konnten. Wann begann dein Interesse für den Tango?

Roberto Herrera: Innerhalb der Folklore-Shows von Norma Viola und „El Chúcaro” gab es auch einige Tango-Stücke. Das hat mich fasziniert. Das war ca. 1986. Zu dieser Zeit erlebte die Show „Tango Argentino” am Broadway einen Riesenerfolg. „El Chúcaro” schickte mich in die Milongas, um auch den Tango von der Pike auf zu lernen. Aus Respekt vor dem Können der Älteren, habe ich den Tangueros ca. ein Jahr lang auf der Piste nur zugeschaut, um von ihnen zu lernen, bevor ich selbst das erste Mal auf einer Milonga getanzt habe. Natürlich habe ich parallel dazu auch schon Tangounterricht genommen.

 


Bei wem hast du damals gelernt?
Roberto Herrera: Bei Gustavo Naveira. Damals unterrichtete er im Stil von Copez, also sehr strukturiert, nach einem Schema. Später habe ich dann Antonio Todaro kennen gelernt. Natürlich habe ich in meiner Laufbahn bei verschiedenen Lehrern gelernt, aber als mein „Maestro” gilt für mich Antonio Todaro.

 


Was hast du empfunden, als du als junger Kerl in den Milongas nur ältere Männer und Frauen vorgefunden hast?
Roberto Herrera: Das war eine andere Welt als bei der Folklore, zumindest ‘86. Inzwischen hat sich das Tangopublikum ja wesentlich verjüngt. Damals war meine erste Milonga das „Canning”, das als „eleganter Sport club” umschrieben wurde. Ohne Sakko und Krawatte kam man da nicht rein, es gab sehr strikte Regeln. Das empfand ich zu Anfang als eine sehr geschlossene Gesellschaft, lang nicht so offen und locker wie die Veranstaltungen der Folkloretänzer.

 


Folkloretänzer schienen schon damals auch eher jünger zu sein...
Roberto Herrera: Ja, das liegt daran, dass viele jüngere aus den Landesprovinzen zum Studieren nach Buenos Aires kommen und dort in ihrer Freizeit weiter Folklore tanzen wollen. Beim Tango hat lange Zeit der Nachwuchs gefehlt. Das hat sich mit der Demokratisierung, dem zunehmenden Interesse von jungen Leuten am Tango in den 1990er Jahren geändert. Als ich das erste mal mit meinem Bruder ins Canning ging, mit Sakko und Krawatte und mich keiner kannte, dachten die Tangueros zunächst, wir seien von der Polizei. Polizisten in Zivil waren während der Juntazeit auch immer sehr formell gekleidet, da gab es auch jüngere dabei, in meinem Alter. Wenn man nicht bekannt war in der Szene, fiel man schnell auf.

 


Das Klima hat sich ja mit Beginn der Demokratisierung glücklicherweise geändert. Das konnte man ja auch an den Anfang der 90er Jahre entstandenen Milongas wie dem „Parakultural”, oder später „La Catédral” ablesen...
Roberto Herrera: Auf jeden Fall. Je mehr junge - vor allem junge Frauen - sich für den Tango interessierten, desto offener wurde das Klima innerhalb der Tangoszene. In den 80ern betrachteten viele Tangueros ihr Können noch als Privatbesitz, als attraktive Frauen ins Spiel kamen, wurden die älteren Herren schnell umgänglicher...

 


Waren junge Menschen deiner Ge ne ra ti on auf dem Land den Schikanen der Mi litärs weniger ausgeliefert?
Roberto Herrera: Vielleicht etwas weniger als in Buenos Aires selbst. Trotzdem passierten auch auf dem Land viele schreckliche Dinge, über die die Argentinier bis heute ungern reden. Ich selbst wurde ja noch zum Wehrdienst eingezogen und musste noch am Falklandkrieg gegen England teilnehmen - heute ist der Wehrdienst freiwillig. Insofern war es für alle eine große Befreiung, als die Militärdiktatur vorüber war. Inzwischen können die Argentinier besser über diese Zeit reden. Zum ersten Mal haben viele überhaupt ein gewisses Vertrauen, das Menschenrechte im eigenen Land überhaupt beachtet werden. Das ist der Erfolg der Demokratisierung. Aber die Aufarbeitung dessen, was in den Jahren der Diktatur an Unmenschlichkeit geschehen ist, ist sicher noch ein Jahre andauernder Prozess.

 


Zurück zu deinem Weg als Profitänzer: Was war der Auslöser für dich, auch im Tan gobereich professionell zu arbeiten?
Roberto Herrera: Das lag an Antonio Todaro und an meinem wachsenden Verständnis für die Tangokultur im Salón, die viel stärker auf Improvisation gegründet ist, als der Folkloretanz. Die Improvisation hat mich gereizt am Tango. Als Außenstehender mag man vielleicht den Eindruck haben, dass Todaro „nur” ein Mann der genialen Choreographien war. Das stimmt aber nicht. Todaro war zu nächst einmal ein sehr kreativer Tänzer, der es genauso liebte zu improvisieren. Lediglich seine Unterrichtsmethode bestand damals darin, komplexe Schrittkombinationen „zum Auswendiglernen” zu vermitteln, um seinen Schülern eine Basis zu geben. Das liegt vielleicht daran, dass in den späten 80er bis Mitte der 90er Jahre viele Bühnentänzer zu Todaro gegangen sind, denen das Lernen in Schritt kombinationen leichter fiel, weil sie das vom Bühnentanz her gewohnt waren. Über diese Kombinationen haben wir dann das Improvisieren gelernt. Nicht-Bühnentänzer haben eher bei Pepito Avellaneda gelernt. Der hat nur improvisiert. Wichtig war für mich vor allem zu verstehen, dass es beim im provisierten Tango gerade darauf an kommt, alle Schritte immer wieder anders zusammenzusetzen, je nachdem wie die Musik dazu passt. Das war für einen Bühnentänzer wie mich, der festgelegte Choreographien gewohnt ist, ein Umdenkprozess.

 


Kann man sagen, dass Copez [Copes] und Todaro insofern ähnlich unterrichtet haben, als dass sie systematische Schrittkombinationen vermittelt haben?
Roberto Herrera: Ähnlich in dieser Hinsicht ja, aber beide hatten doch ein sehr unterschiedliches System: Der „Maestro” Copez [Copes] hatte eine Art Baukastensystem und vermitte te den Tango mehr als Ballettchoreographie für Bühnentänzer, also sehr akademisch. Todaro war demgegenüber doch mehr ein Tänzer des Salón und hatte insofern ein and res Gespür für Improvisation und den Tango in der Milonga. Todaro hat einem mehr das Gefühl vermittelt, dass man die gleiche Schrittkombination auch variieren und auf eine andere Weise tanzen kann. Dadurch wurden wir stärker angespornt, selbst zu improvisieren.

 


Auf deiner Website findet sich eine eindrucksvolle, vierseitige Vita deiner tänzerischen Laufbahn, deren Aufzählung das Interview sprengen würde. Unter anderem hast du auch mit dem Madonna-Film „Evita” zu tun gehabt...
Roberto Herrera: Richtig, ich habe bei der Premierenfeier des Films in Buenos Aires vorgetanzt und war auch für die Choreographien der übrigen Tänzer verantwortlich. In Madonnas Film habe ich nicht mitgewirkt, hatte 1987 aber schon mit dem Kino zu tun, als Tänzer in dem Film „Tango Bar” von Marcos Zurinaga mit Raul Julia. In einer Szene habe ich eine Milonga getanzt, im Canyengue-Stil, aus der Anfangszeit des Tango. Das war mein erster Tangoauftritt in einem Film und meine erste Begegnung mit dem Filmgeschäft. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht.

 


(...)Welche Vorbilder hat ein Profitänzer wie du, wenn er einen historischen Stil im Film oder auf der Bühne darstellen will? Es gibt ja nur wenige erhaltene historische Filmaufnahmen.
Roberto Herrera: Das sehe ich als Profitänzer im sozialen Kontext. Der Tango ist natürlich immer Ausdruck der sozialen Umstände und Moden der Zeit, in der er getanzt wurde und wird. Diese kann man in der Literatur nachlesen und es gibt auch Zeichnungen und Bilder aus der jeweiligen Zeit und Berichte von Zeitzeugen, die zwar oft nicht schriftlich festgehalten wurden, aber mündlich überliefert sind. Es ist daher möglich, eine Milonga aus der Anfangszeit des Tango zu tanzen, in der der Canyengue-Rhythmus noch stärker ausgeprägt war. Sicherlich vielleicht nicht exakt so, wie es damals war. Aber doch so, dass es dem damaligen Zeitgeist und sozialen Kodex einigermaßen entspricht. Zumindest ist das eine Richtschnur. Wichtig ist auch, die Musik der Zeit genau anzuhören. Wenn ich das tue, spüre ich das Gefühl der Weite des Landes. Die Tangos der Anfangszeit sind noch längst nicht so urban, sondern noch viel stärker von der argentinischen Folkloremusik geprägt, in der die Gitarre und der Gesang eine viel stärkere Rolle spielt. Entsprechend „ländlicher” stelle ich mir deshalb auch die ersten Tangos der Anfangszeit vor. Aus diesen verschiedenen Informationen und Mosaikstücken kann ich als Tänzer dann einen Stil rekonstruieren, der dem Original zumindest nahe kommt.

 


In welche Richtung wird sich der Tango in Zukunft weiterentwickeln?
Roberto Herrera: Das ist eine schwierige Frage. Wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass der Tango ein improvisierter Tanz war und ist. Es gab und gibt immer Stile und Moden, die kommen und gehen. Das einzige, was der Tango als ultimative Konstante wirklich braucht, ist ein Tanzboden! Insofern wird es immer eine neue Generation geben, die Dinge verändern will und das ist auch gut so, solange man den Ursprung achtet und das Niveau gewahrt bleibt. Neue musikalische Richtungen, wie Neo-Tango oder Techno-Tango finde ich auch gut, weil sich dadurch eine junge Generation erneut mit dem Tango beschäftigt. Wenn man nicht will, dass der Tango ausstirbt, braucht man das Interesse der jetzigen Generation, um den Tango auch für eine noch breitere Gruppe von jungen Menschen auf der ganzen Welt interessant zu machen. Diese Jugendlichen entdecken dann vielleicht auch den klassischen Tango oder die argentinische Folklore und begeistern sich dafür. Viele Wege führen zum Tango. Um ihn voranzubringen, ist es notwendig undogmatisch und ohne Scheuklappen zu denken.

 


Roberto Herrera, ich danke dir ganz herzlich für dieses Gespräch.
Roberto Herrera: Ich danke ebenso.


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