Roberto Herrera im Interview
Wenn Roberto aus dem Nähkästchen plauerdet, wird´s spannend. Hier findet ihr ein paar (deutsche) Interviews mit Roberto Herrera:
1. Interview mit dem "excellence magazine"
2. Interview mit der Tango Danza 2006
3. Interview mit der Tango Danza 2021
Roberto Herrera - Die Kunst den Herzschlag zu hören
1. Interview mit dem "Excellence magazine"
Tango als spiritueller Wegweiser, Quelle der Freude, Herausforderung und kontinuierliche Forschung.
Tango als Beruf.
Wir treffen uns mit Roberto Herrera und unser Interview wird zu einem Dialog voller Anekdoten, Erinnerungen und wertvoller Lektionen.
Es ist eines dieser Interviews, in denen vorbereitete Fragen beiseite gelegt werden, um Platz für die Geschichte eines Lebens zwischen Tanz und Musik zu schaffen.
Roberto definiert sich als Tänzer und lässt beschied einige Details aus, die wir alle kennen. Um nur einige zu nennen: er ist als bester Tangotänzer der Welt bekannt, er hat mit Osvaldo Pugliese zusammengearbeitet, er ist der Guru und die Inspiration des modernen Tangos und ein sehr erfolgreicher Choreograf.
Er hat eine bedachte Haltung, eine ruhige Stimme, eine unübersehbare Eleganz, bereits wenn er nur seine Hände beim Sprechen bewegt.
Kein Wunder, dass er als "der Dichter des Tango" bekannt ist!
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Roberto, wie hast du zum Tanzen gefunden?
Ich war 8 Jahre alt und sah Nureyev in Don Quijote im Fernsehen tanzen. Ich hatte keine Ahnung, wer er war oder zu was er tanzte. Ich weiß nur, dass es mich so sehr mit Emotionen erfüllte, dass ich meinem Vater sagte, ich wolle Tänzer werden.
Ihr könnt euch vorstellen, wie mein Vater darauf reagiert hat ...
Aber ich wusste, dass dies mein Weg war. Und meine Entschlossenheit wurde belohnt, als ich wenig später anfing, argentinische Folklore zu tanzen. Eine Ausdrucksform, die meine Familie zu akzeptieren bereit war.
Ich bin einer großen Kompanie beigetreten, die Geschichte in der argentinischen Folklore geschrieben hat, unter der Regie von Santiago Ayala alias „El Chúcaro“ und Norma Viola, den Gründern unseres argentinischen Folklore National-Balletts.
Ich hatte wirklich Glück, diese großartigen Tänzer, Meister der Folklore, kennenzulernen, da sie einen großen Beitrag zu meiner Ausbildung leisteten. Nicht nur, weil sie mir das Tanzen beibrachten, sondern auch, weil sie mein kreatives Talent entdeckten, das ich in meinen Choreografien für die Kompanie ausleben konnte.
Mit 12 Jahren war ich bereits professioneller Tänzer.
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Wie hast du dich in Tango verliebt?
Das kam langsam. In Argentinien haben damals nahezu alle zu Hause Tango getanzt, sodass man mit der Familie die ersten Schritte in der Küche lernen konnte.
Genau wie das Folkloreballett ist Tango Teil der Traditionen und Kultur meines Landes.
Meine Leidenschaft für den Tango wurde immer stärker, als mir bewusst wurde, dass ich in diesem Moment in der Folklore bereits alles gelernt hatte, was ich lernen konnte.
Der Tango gab und gibt mir das Gefühl, immer etwas Neues zu entdecken.
Tango ist grenzenlos. Er erfordert eine außerordentlich enge Beziehung zum Tanz-Partner. Und es gibt keine strengen Regeln, die befolgt werden müssen.
Jedes Mal, wenn du tanzt, erschaffst du etwas anderes, etwas Neues.
Es ist wie ein ewiges erstes Mal.
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Wofür steht Tango?
Tango hat Argentiniens Leben bis in die 50er Jahre immer repräsentiert. Dann haben politische Themen und die Auswirkungen neuer Musik aus den USA die neuen Generationen stark beeinflusst.
Aus einem Folkloretanz verwandelte sich Tango in etwas Unterirdisches, etwas Nostalgisches, das an die Vergangenheit gebunden war. 1986 löste die Show „Tango Argentino“ das Tango-Feuer erneut aus.
Orchester mit unterschiedlichen Musikstilen sowie renommierte Musiker wie Osvaldo Pugliese und Piazzolla inspirierten den neuen Tango.
Bereits 1920 stellte Julio de Caro das Orchester vor, das den Tango fortan begleiten sollte. Bis dahin wurde Tango von kleinen Bands gespielt, die oft keine professionellen Konzertkünstler waren. Sie spielten Instrumente, die sie leicht zu den Milongas tragen konnten.
Julio de Caro erfand den Tanguero-Stil, sowohl die Musik als auch die Songtexte, und beeinflusste sogar die Wahl der Kleidung, das Haarstyling… aber das Orchester von Osvaldo Pugliese war der wahre Wendepunkt in der Tangogeschichte.
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Der Tango hatte also dank Osvaldo Pugliese seine Rolle in den 90er Jahren?
Osvaldo war ein großartiger Musiker und hatte sehr klare Vorstellungen darüber, was er erreichen wollte und wie er seine Ziele erreichen konnte.
Er war ein überzeugter Kommunist. Ich erinnere mich, dass er die Einnahmen eines Auftritts immer mit dem ganzen Orchester gleichermaßen teilte, aber er war auch äußerst sensibel und zwang seine Überzeugungen niemals denen auf, die mit ihm arbeiteten.
Er war ein großartiger Anführer. Er wusste, wie man das Publikum fesselt und hatte großen Respekt vor seinen Musikern, die er dank Tourneen und Shows als Vollzeitmusiker anstellen konnte.
1990 war das Orchester von Osvaldo Pugliese auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Er war ein Visionär und pflegte zu sagen, Tango habe eine menschliche Stimme. Obwohl sein Orchester traditionell aus 8 Musikern bestand, beschloss er, einen Bratschisten und einen Cellisten sowie ein Tanzpaar in sein Ensemble aufzunehmen.
Er wünschte sich, dass seine Botschaft die neuen Generationen erreicht und entschied sich für junge Tänzer.
Für dieses Tanzpaar erwählte er uns, Roberto Herrera und Vanina Bilous, die lange Zeit meine Tanzpartnerin war.
Während wir mit Pugliese zusammengearbeitet haben, haben wir auf Bühnen auf der ganzen Welt getanzt und an wundervollen Touren teilgenommen, die bemerkenswert dazu beigetragen haben, dem Tango neues Leben einzuhauchen.
Osvaldo half unzähligen Künstlern, erfolgreich zu sein und professionell zu wachsen.
Unter dem Peronismus wurde er mehrmals ins Gefängnis gesteckt. Aber sein Orchester hörte nie auf zu spielen und fand einen Pianisten, der ihn vorübergehend ersetzen konnte. Aber wenn Osvaldo im Gefängnis war, wurde eine rote Rose auf das Klavier gelegt, als Zeichen, dass er immer bei uns war.
Die längste Zeit, die er im Gefängnis verbrachte, war 6 Monate. Als er raus kam, hielt er an seinen kommunistischen Überzeugungen fest. Peròn entschuldigte sich bei ihm und er nahm wieder seine Welttourneen auf.
Osvaldo starb 1995 und hinterließ ein riesiges künstlerisches Erbe, das jedoch hauptsächlich ein Beispiel für Talent, Beständigkeit und Stärke ist.
Seine Tochter Beba Pugliese und seine Enkelin Carla Pugliese führten das Erbe ihres Vaters weiter und brachten das Geheimnis und die Legende des Tango in die ganzen Welt.
Ich habe auch mit ihnen gearbeitet und es war mir ein Vergnügen.
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Wie habst du dich gefühlt, als du das erste Mal mit dem Orchester getanzt hast?
Ich wusste nicht, was ich tat. Als Pugliese mich als Tänzer auswählte, um etwas Neues in seine Show zu bringen, wusste ich nur, dass ich es schaffen konnte.
In der Nacht der ersten Show, als ich im Hintergrund auf den Beginn der Show wartete, begann das Orchester ein berühmtes Stück zu spielen und alle Zuschauer standen auf und klatschten im Rhythmus der Musik.
Es fühlte sich an wie bei einem Rockkonzert, nichts dergleichen war jemals zuvor passiert.
Ich war unheimlich aufgeregt und wusste, dass ich Zeuge einer neuen Ära wurde.
Als wir durch Europa tourten und in verschiedensten Städte wie Amsterdam, Madrid, Barcelona und viele andere auftraten, stand das Publikum auf und tanzte. Es war unglaublich.
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Es gibt verschiedene „Stile“ der Tangomusik: nostalgisch, fröhlich, sprudelnd. Welche Rolle spielen die Texte?
Tango wurde immer verwendet, um viele soziale Botschaften durch die Texte zu vermitteln.
Es geht oft um Gefühle, Alltag, verlorene Liebhaber, wiedergefundene oder streitende Freunde. Sie handeln von der Familie und repräsentieren Szenen aus der Realität.
Der Rhythmus der Musik stimmt jedoch nicht immer mit den Texten überein.
Manchmal finde ich es amüsant zu sehen, wie Tänzer mit einem Lächeln auf einem scheinbar fröhlichen Tango auftreten, ohne die Texte zu verstehen, die manchmal dramatisch sind.
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Stimmt es, dass die Frau von ihrem männlichen Partner „geführt“ werden muss?
Glücklicherweise hat sich die Rolle der Frau im Laufe der Zeit tiefgreifend verändert. In der Vergangenheit hatten Frauen keine Rolle, außer innerhalb ihrer Familie.
Mit der Emanzipation wurden sie selbstbewusster und entschlossener. Aus meiner Erfahrungen kann ich sagen, dass sich das auch im Tango widerspiegelt, da die Partner jetzt mehr interagieren.
Trotzdem liegt es immer noch in der Verantwortung des Mannes, den Tanz zu leiten und in der Verantwortung der Frau, sich von ihm führen zu lassen.
Das Paar entwickelt eine tiefe Beziehung, eine Harmonie, die es der Frau ermöglicht, sich völlig hinzugeben und sogar mit geschlossenen Augen zu tanzen.
Im Tango gibt es Konzepte, und das erste ist die Eleganz, die sich in den harmonischen Bewegungen der Tänzer, ihrer Haltung, ihren Gesten und sogar ihren Kostümen zeigt.
Es gibt Traditionen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und in den 40er Jahren zur Schaffung spezifischer Codes geführt haben: Bei der Kleidung gibt es beispielsweise eine „Tangofarbe“, die als ein bestimmter dunkelroter Farbton identifiziert werden kann, der normalerweise von Frauen getragen wird.
Eine leidenschaftliche, lebendige, verführerische und energiegeladene Farbe. Genau wie unser Tanz.
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Nachdem Sie auf der ganzen Welt aufgetreten sind, haben Sie Ihr eigenes Unternehmen gegründet. Was hat Sie zu dieser Entscheidung geführt?
Die „Roberto Herrera Academy“ entstand aus meinem Willen, meine Leidenschaft für Tango und die Freude, die sie mir bereitet, zu teilen.
Wir haben Hunderte von Shows in Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, der Türkei, Argentinien, Brasilien, Japan, Hongkong, Singapur und Bali abgehalten. Zum Glück haben wir immer einen großen öffentlichen Erfolg erzielt.
Die Tango-Kompanie „Roberto Herrera Tango“ ist immer noch aktiv und tritt auf internationalen Bühnen auf. Tango ist auf der ganzen Welt sehr beliebt. Wenn man das letzte Jahr mitzählt, war ich bereits 19 Mal in Japan.
In Asien sind sie buchstäblich verrückt nach Tango.
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Warum?
Sie hörten nach dem Krieg Tangorchester im Radio, vielleicht weil sie etwas so düsteres fühlten wie ihre Stimmung darin.
Mit der Zeit entdeckten sie auch den Tanz und aufgrund ihrer strikten Erziehung und Kultur wurden sie ausgezeichnete, engagierte Schüler und hatten großen Erfolg.
Einer der letzten Tango-Weltmeister ist Japaner und gewann den Titel in Argentinien, dem Land des Tango! (Tango Escenario 2017, Axel Arakaki)
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Du hast dich dafür entschieden, deine Schüler, die keine professionellen Künstler sind, persönlich zu unterrichten. Mit deinem Fachwissen kannst du brillante Tangotänzer „heranziehen“ und ausbilden.
Unterrichten bedeutet für mich Kontinuität, es bedeutet, immer mehr Menschen zu zeigen, wie sie fühlen, wie sich ihr Körper bewegt, sich von der Musik tragen zu lassen und einfach Tango zu tanzen.
Ja, ich hätte nur professionelle Tänzer ausbilden können, aber das Unterrichten ist eine Berufung. Die Fortschritte der Anfänger, ihr Lächeln und ihre Zufriedenheit zu sehen, ist für mich pure Freude.
Es ist wunderbar, die Schüler zu begleiten, wenn sie einen Weg des persönlichen Ausdrucks entdecken. Wenn sie lernen, sich nicht nur zu bewegen, sondern auch die eigene Tango-Persönlichkeit zu finden.
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Und welche Rolle hat Italien in Ihrem Leben gespielt?
2005 warich zum ersten Mal mit meiner Kompanie in Italien.
Während wir das Land bereisten, kam Theatermanager Luigi Pignotti auf mich zu und sagte mir, er sei fasziniert von unserer Arbeit.
Kurz nachdem wir uns getroffen hatten, fand ich heraus, dass Luigi seit 25 Jahren Nureyevs Manager war.
Worte können nicht beschreiben, wie ich mich fühlte!
Ich bat ihn, mir jedes Detail über meinen Idol-Tänzer zu erzählen, der mich als Kind dazu inspiriert hatte, selbst professioneller Tänzer zu werden.
Das war ein Zeichen: Nureyev war zurück in meinem Leben, und Luigi Pignotti und ich haben viel zusammengearbeitet und wundervolle Shows produziert.
Italien ist ein gastfreundliches Land, das uns immer mit großer Liebe und Herzlichkeit empfangen hat.
In letzter Zeit habe ich mich hauptsächlich dem Unterrichten in Italien gewidmet, was, wie gesagt, für mich sehr sehr viel bedeutet.
Wir besitzen eine historische Akademie in Buenos Aires, wir haben eine weitere in Deutschland und auch in Italien gegründet. Bis Ende 2019 arbeitete ich als Lehrer an zwei verschiedenen, sehr professionellen Orten in Mailand mit Laura Legazcue und halte jedes Wochenende Tanzworkshops in verschiedenen Städten ab. (...) Aktuell konzentriere ich mich mehr auf mein Familienleben in München, wo ich mit meiner Frau an einem gemeinsamen Projekt arbeite: eine neue Akademie, inklusive wöchentlicher Milonga. (Neu) (...)
Ich liebe es zu unterrichten, den Schülern zu helfen, zu wachsen, neue Choreografien zu erstellen, die meine große Leidenschaft sind, und Shows zu veranstalten, in denen sich meine Schüler ausdrücken können.
In diesem Jahr (2019) haben wir unseren Kurs mit einem Auftritt beim Intercultural European Exchange in Stuttgart abgeschlossen. Meine argentinischen, deutschen und italienischen Studenten waren eins, sie waren wirklich glücklich mit sich selbst und ich auch.
Wie Osvaldo Pugliese immer sagte: „Wir segeln auf dem riesigen Meer des Tangos“, und ich möchte, dass jede Form von Kreativität in diesem Meer frei wird.
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Hörst du beim Tanzen den Herzschlag deiner Partnerin?
Ja, das ist alles Teil meiner Erfahrung. Ich höre ihren Herzschlag und verstehe, wie sie sich fühlt - wenn sie angespannt, besorgt oder entspannt ist, und ich verhalte mich ruhig, wenn ich den Tanz führe, bis ihr Herzschlag wieder harmonisch ist.
Dann verlangsamt sich ihr Atem und folgt der Musik, sodass sich ihr Körper frei bewegen und ausdrücken kann.
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Was bedeutet Tango für dich?
Eine lebendige Kunst, die sich ständig bewegt.
Tango ist Freiheit. Man fängt oft an zu tanzen, hört die Musik, „fühlt“ die Person, die mit einem tanzt und in diesem Moment, nur in diesem Moment, weiß man, was zu tun ist.
Es ist ein einzigartiger, einmaliger Moment.
Tango ist ein Weg, Existenz, Leben, Liebe und Tod zu erleben.
Tango ist grenzenlos.
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Zum original Artikel
Text: Emanuela Zini,
Übersetzung und Ergänzungen: Ani Andreani
Interview Tango Danza 2006
Roberto Herrera
Vielseitiger Tänzer in der Tradition Antonio Todaros
Von Fabian Kasten
Roberto Herrera ist seit über 30 Jahren Profitänzer, einer der sowohl den Folkloretanz als auch den Tango beherrscht wie kein Zweiter. Ein Jugend-Talent-Wettbewerb brachte Herrera bereits im Alter von 8 Jahren dazu, Folkloretanz zu lernen. Mit 17 zog es ihn nach Buenos Aires, wo er in einer der besten Folklore-Kompanien Argentiniens, der Kompanie von [Santiago Ayala "EL Chucaro" und] Norma Viola, aufgenommen wurde. Wenig später entdeckte er den Tango und tauchte ein in die Mitte der 80er Jahre noch von alten Milongueros beherrschte Welt der Milongas von Buenos Aires. Sein Tangohandwerk lernte er von dem genialen Schritte-Erfinder Antonio Todaro, der so vielen Bühnentänzern den Weg in die Profikarriere geebnet hat. Seitdem ist seine Folklore- und Tangokarriere eine Erfolgsstory mit Filmauftritten, Bühnenengagements und Reisen zu Tangofestivals rund um den Globus. Ob als Tänzer in der Show „Tango Argentino” oder später in der Show „Tango Pasión”, ob als Tänzer des Orchesters von Osvaldo Pugliese - Herrera hat in den wichtigsten großen Tangoshows getanzt und er war mit vielen herausragenden Orchestern auf Tournee, unter anderem mit Julián Plaza und Leopoldo Federico. Im Herbst 2005 besuchten Herrera und seine Partnerin Rocio Leguizmon, die ne ben dem Tango auch zeitgenössischen und klassischen Tanz unterrichtet und tanzt, das 3. Internationale Tangofestival in München, wo beide begeistert gefeiert wurden. Fabian Kasten hatte dort die Gelegenheit, mit Roberto Herrera zu sprechen.
Roberto, wie bist du zum Tanzen ge kommen?
Roberto Herrera: Das war eigentlich Zufall. Ich komme zwar aus der Argentinischen Jujuy, einer Gegend, in der traditionell viel Folklore getanzt wird, aber meine Eltern sind weder Künstler noch Profitänzer, insofern habe ich mich selbst für eine Tänzerkarriere entschieden. Der Auslöser war ein kulturelles Jugendtreffen mit dem Titel „Camp Eva Perón” in Cordoba mit Jugendlichen aus ganz Argentinien. Damals war ich acht Jahre alt. Dort gab es eine „Nacht der Talente” und ich habe Folklore vorgetanzt. Zurück in Jujuy machte ich dann eine richtige Ausbildung als Folklore-Tänzer. Mit 16 Jahren zog es mich dann nach Buenos Aires, weil ich unbedingt in das bekannte Folklore-Ballett von Norma Viola und Santiago Ayala („El Chúcaro”) aufgenommen werden wollte. Das hat auch geklappt.
Du bist seit langem ein erfolgreicher Folkl re-Tänzer, wie wir eindrucksvoll beim 3. Internationalen Tangofestival in München sehen konnten. Wann begann dein Interesse für den Tango?
Roberto Herrera: Innerhalb der Folklore-Shows von Norma Viola und „El Chúcaro” gab es auch einige Tango-Stücke. Das hat mich fasziniert. Das war ca. 1986. Zu dieser Zeit erlebte die Show „Tango Argentino” am Broadway einen Riesenerfolg. „El Chúcaro” schickte mich in die Milongas, um auch den Tango von der Pike auf zu lernen. Aus Respekt vor dem Können der Älteren, habe ich den Tangueros ca. ein Jahr lang auf der Piste nur zugeschaut, um von ihnen zu lernen, bevor ich selbst das erste Mal auf einer Milonga getanzt habe. Natürlich habe ich parallel dazu auch schon Tangounterricht genommen.
Bei wem hast du damals gelernt?
Roberto Herrera: Bei Gustavo Naveira. Damals unterrichtete er im Stil von Copez, also sehr strukturiert, nach einem Schema. Später habe ich dann Antonio Todaro kennen gelernt. Natürlich habe ich in meiner Laufbahn bei verschiedenen Lehrern gelernt, aber als mein „Maestro” gilt für mich Antonio Todaro.
Was hast du empfunden, als du als junger Kerl in den Milongas nur ältere Männer und Frauen vorgefunden hast?
Roberto Herrera: Das war eine andere Welt als bei der Folklore, zumindest ‘86. Inzwischen hat sich das Tangopublikum ja wesentlich verjüngt. Damals war meine erste Milonga das „Canning”, das als „eleganter Sport club” umschrieben wurde. Ohne Sakko und Krawatte kam man da nicht rein, es gab sehr strikte Regeln. Das empfand ich zu Anfang als eine sehr geschlossene Gesellschaft, lang nicht so offen und locker wie die Veranstaltungen der Folkloretänzer.
Folkloretänzer schienen schon damals auch eher jünger zu sein...
Roberto Herrera: Ja, das liegt daran, dass viele jüngere aus den Landesprovinzen zum Studieren nach Buenos Aires kommen und dort in ihrer Freizeit weiter Folklore tanzen wollen. Beim Tango hat lange Zeit der Nachwuchs gefehlt. Das hat sich mit der Demokratisierung, dem zunehmenden Interesse von jungen Leuten am Tango in den 1990er Jahren geändert. Als ich das erste mal mit meinem Bruder ins Canning ging, mit Sakko und Krawatte und mich keiner kannte, dachten die Tangueros zunächst, wir seien von der Polizei. Polizisten in Zivil waren während der Juntazeit auch immer sehr formell gekleidet, da gab es auch jüngere dabei, in meinem Alter. Wenn man nicht bekannt war in der Szene, fiel man schnell auf.
Das Klima hat sich ja mit Beginn der Demokratisierung glücklicherweise geändert. Das konnte man ja auch an den Anfang der 90er Jahre entstandenen Milongas wie dem „Parakultural”, oder später „La Catédral” ablesen...
Roberto Herrera: Auf jeden Fall. Je mehr junge - vor allem junge Frauen - sich für den Tango interessierten, desto offener wurde das Klima innerhalb der Tangoszene. In den 80ern betrachteten viele Tangueros ihr Können noch als Privatbesitz, als attraktive Frauen ins Spiel kamen, wurden die älteren Herren schnell umgänglicher...
Waren junge Menschen deiner Ge ne ra ti on auf dem Land den Schikanen der Mi litärs weniger ausgeliefert?
Roberto Herrera: Vielleicht etwas weniger als in Buenos Aires selbst. Trotzdem passierten auch auf dem Land viele schreckliche Dinge, über die die Argentinier bis heute ungern reden. Ich selbst wurde ja noch zum Wehrdienst eingezogen und musste noch am Falklandkrieg gegen England teilnehmen - heute ist der Wehrdienst freiwillig. Insofern war es für alle eine große Befreiung, als die Militärdiktatur vorüber war. Inzwischen können die Argentinier besser über diese Zeit reden. Zum ersten Mal haben viele überhaupt ein gewisses Vertrauen, das Menschenrechte im eigenen Land überhaupt beachtet werden. Das ist der Erfolg der Demokratisierung. Aber die Aufarbeitung dessen, was in den Jahren der Diktatur an Unmenschlichkeit geschehen ist, ist sicher noch ein Jahre andauernder Prozess.
Zurück zu deinem Weg als Profitänzer: Was war der Auslöser für dich, auch im Tan gobereich professionell zu arbeiten?
Roberto Herrera: Das lag an Antonio Todaro und an meinem wachsenden Verständnis für die Tangokultur im Salón, die viel stärker auf Improvisation gegründet ist, als der Folkloretanz. Die Improvisation hat mich gereizt am Tango. Als Außenstehender mag man vielleicht den Eindruck haben, dass Todaro „nur” ein Mann der genialen Choreographien war. Das stimmt aber nicht. Todaro war zu nächst einmal ein sehr kreativer Tänzer, der es genauso liebte zu improvisieren. Lediglich seine Unterrichtsmethode bestand damals darin, komplexe Schrittkombinationen „zum Auswendiglernen” zu vermitteln, um seinen Schülern eine Basis zu geben. Das liegt vielleicht daran, dass in den späten 80er bis Mitte der 90er Jahre viele Bühnentänzer zu Todaro gegangen sind, denen das Lernen in Schritt kombinationen leichter fiel, weil sie das vom Bühnentanz her gewohnt waren. Über diese Kombinationen haben wir dann das Improvisieren gelernt. Nicht-Bühnentänzer haben eher bei Pepito Avellaneda gelernt. Der hat nur improvisiert. Wichtig war für mich vor allem zu verstehen, dass es beim im provisierten Tango gerade darauf an kommt, alle Schritte immer wieder anders zusammenzusetzen, je nachdem wie die Musik dazu passt. Das war für einen Bühnentänzer wie mich, der festgelegte Choreographien gewohnt ist, ein Umdenkprozess.
Kann man sagen, dass Copez [Copes] und Todaro insofern ähnlich unterrichtet haben, als dass sie systematische Schrittkombinationen vermittelt haben?
Roberto Herrera: Ähnlich in dieser Hinsicht ja, aber beide hatten doch ein sehr unterschiedliches System: Der „Maestro” Copez [Copes] hatte eine Art Baukastensystem und vermitte te den Tango mehr als Ballettchoreographie für Bühnentänzer, also sehr akademisch. Todaro war demgegenüber doch mehr ein Tänzer des Salón und hatte insofern ein and res Gespür für Improvisation und den Tango in der Milonga. Todaro hat einem mehr das Gefühl vermittelt, dass man die gleiche Schrittkombination auch variieren und auf eine andere Weise tanzen kann. Dadurch wurden wir stärker angespornt, selbst zu improvisieren.
Auf deiner Website findet sich eine eindrucksvolle, vierseitige Vita deiner tänzerischen Laufbahn, deren Aufzählung das Interview sprengen würde. Unter an derem hast du auch mit dem Madonna-Film „Evita” zu tun gehabt...
Roberto Herrera: Richtig, ich habe bei der Premierenfeier des Films in Buenos Aires vorgetanzt und war auch für die Choreographien der übrigen Tänzer verantwortlich. In Madonnas Film habe ich nicht mitgewirkt, hatte 1987 aber schon mit dem Kino zu tun, als Tänzer in dem Film „Tango Bar” von Marcos Zurinaga mit Raul Julia. In einer Szene habe ich eine Milonga getanzt, im Canyengue-Stil, aus der Anfangszeit des Tango. Das war mein erster Tangoauftritt in einem Film und meine erste Begegnung mit dem Filmgeschäft. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht.
(...)Welche Vorbilder hat ein Profitänzer wie du, wenn er einen historischen Stil im Film oder auf der Bühne darstellen will? Es gibt ja nur wenige erhaltene historische Filmaufnahmen.
Roberto Herrera: Das sehe ich als Profitänzer im sozialen Kontext. Der Tango ist natürlich immer Ausdruck der sozialen Umstände und Moden der Zeit, in der er getanzt wurde und wird. Diese kann man in der Literatur nachlesen und es gibt auch Zeichnungen und Bilder aus der jeweiligen Zeit und Berichte von Zeitzeugen, die zwar oft nicht schriftlich festgehalten wurden, aber mündlich überliefert sind. Es ist daher möglich, eine Milonga aus der Anfangszeit des Tango zu tanzen, in der der Canyengue-Rhythmus noch stärker ausgeprägt war. Sicherlich vielleicht nicht exakt so, wie es damals war. Aber doch so, dass es dem damaligen Zeitgeist und sozialen Kodex einigermaßen entspricht. Zumindest ist das eine Richtschnur. Wichtig ist auch, die Musik der Zeit genau anzuhören. Wenn ich das tue, spüre ich das Gefühl der Weite des Landes. Die Tangos der Anfangszeit sind noch längst nicht so urban, sondern noch viel stärker von der argentinischen Folkloremusik geprägt, in der die Gitarre und der Gesang eine viel stärkere Rolle spielt. Entsprechend „ländlicher” stelle ich mir deshalb auch die ersten Tangos der Anfangszeit vor. Aus diesen verschiedenen Informationen und Mosaikstücken kann ich als Tänzer dann einen Stil rekonstruieren, der dem Original zumindest nahe kommt.
In welche Richtung wird sich der Tango in Zukunft weiterentwickeln?
Roberto Herrera: Das ist eine schwierige Frage. Wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass der Tango ein improvisierter Tanz war und ist. Es gab und gibt immer Stile und Moden, die kommen und gehen. Das einzige, was der Tango als ultimative Konstante wirklich braucht, ist ein Tanzboden! Insofern wird es immer eine neue Generation geben, die Dinge verändern will und das ist auch gut so, solange man den Ursprung achtet und das Niveau gewahrt bleibt. Neue musikalische Richtungen, wie Neo-Tango oder Techno-Tango finde ich auch gut, weil sich dadurch eine junge Generation erneut mit dem Tango beschäftigt. Wenn man nicht will, dass der Tango ausstirbt, braucht man das Interesse der jetzigen Generation, um den Tango auch für eine noch breitere Gruppe von jungen Menschen auf der ganzen Welt interessant zu machen. Diese Jugendlichen entdecken dann vielleicht auch den klassischen Tango oder die argentinische Folklore und begeistern sich dafür. Viele Wege führen zum Tango. Um ihn voranzubringen, ist es notwendig undogmatisch und ohne Scheuklappen zu denken.
Roberto Herrera, ich danke dir ganz herz lich für dieses Gespräch.
Roberto Herrera: Ich danke ebenso.
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Interview Tango Danza 2021
abgetippter Text folgt in Kürze...
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