Interview "Excellence magazine"

Roberto Herrera - Die Kunst den Herzschlag zu hören

Interview mit dem "Excellence magazine"

 

Tango als spiritueller Wegweiser, Quelle der Freude, Herausforderung und kontinuierliche Forschung.

Tango als Beruf.

Wir treffen uns mit Roberto Herrera und unser Interview wird zu einem Dialog voller Anekdoten, Erinnerungen und wertvoller Lektionen.

Es ist eines dieser Interviews, in denen vorbereitete Fragen beiseite gelegt werden, um Platz für die Geschichte eines Lebens zwischen Tanz und Musik zu schaffen.

 

 

Roberto Herrera Tango Kurse München

Roberto definiert sich als Tänzer und lässt bescheiden einige Details aus, die wir alle kennen. Um nur einige zu nennen: er ist als einer der besten Tangotänzer der Welt bekannt, er hat mit Osvaldo Pugliese zusammengearbeitet, er ist der Guru und die Inspiration des modernen Tangos und ein sehr erfolgreicher Choreograf.

Er hat eine bedachte Haltung, eine ruhige Stimme, eine unübersehbare Eleganz, bereits wenn er nur seine Hände beim Sprechen bewegt.

Kein Wunder, dass er als "der Dichter des Tango" bekannt ist!

 


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Roberto, wie hast du zum Tanzen gefunden?

Ich war 8 Jahre alt und sah Nureyev in Don Quijote im Fernsehen tanzen. Ich hatte keine Ahnung, wer er war oder zu was er tanzte. Ich weiß nur, dass es mich so sehr mit Emotionen erfüllte, dass ich meinem Vater sagte, ich wolle Tänzer werden.

Ihr könnt euch vorstellen, wie mein Vater darauf reagiert hat ...

Aber ich wusste, dass dies mein Weg war. Und meine Entschlossenheit wurde belohnt, als ich wenig später anfing, argentinische Folklore zu tanzen. Eine Ausdrucksform, die meine Familie zu akzeptieren bereit war.

Ich bin einer großen Kompanie beigetreten, die Geschichte in der argentinischen Folklore geschrieben hat, unter der Regie von Santiago Ayala alias „El Chúcaro“ und Norma Viola, den Gründern unseres argentinischen Folklore National-Balletts.

Ich hatte wirklich Glück, diese großartigen Tänzer, Meister der Folklore, kennenzulernen, da sie einen großen Beitrag zu meiner Ausbildung leisteten. Nicht nur, weil sie mir das Tanzen beibrachten, sondern auch, weil sie mein kreatives Talent entdeckten, das ich in meinen Choreografien für die Kompanie ausleben konnte.

Mit 12 Jahren war ich bereits professioneller Tänzer.

 

 

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Wie hast du dich in Tango verliebt?

 

Tango lernen in München mit Roberto Herrera

Das kam langsam. In Argentinien haben damals nahezu alle zu Hause Tango getanzt, sodass man mit der Familie die ersten Schritte in der Küche lernen konnte.

Genau wie das Folkloreballett ist Tango Teil der Traditionen und Kultur meines Landes.

Meine Leidenschaft für den Tango wurde immer stärker, als mir bewusst wurde, dass ich in diesem Moment in der  Folklore bereits alles gelernt hatte, was ich lernen konnte.


Der Tango gab und gibt mir das Gefühl, immer etwas Neues zu entdecken.

Tango ist grenzenlos. Er erfordert eine außerordentlich enge Beziehung zum Tanz-Partner. Und es gibt keine strengen Regeln, die befolgt werden müssen.

Jedes Mal, wenn du tanzt, erschaffst du etwas anderes, etwas Neues.

Es ist wie ein ewiges erstes Mal.

 


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Wofür steht Tango?

Tango hat Argentiniens Leben bis in die 50er Jahre immer repräsentiert. Dann haben politische Themen und die Auswirkungen neuer Musik aus den USA die neuen Generationen stark beeinflusst.

Aus einem Folkloretanz verwandelte sich Tango in etwas Unterirdisches, etwas Nostalgisches, das an die Vergangenheit gebunden war. 1986 löste die Show „Tango Argentino“ das Tango-Feuer erneut aus.

Orchester mit unterschiedlichen Musikstilen sowie renommierte Musiker wie Osvaldo Pugliese und Piazzolla inspirierten den neuen Tango.

Bereits 1920 stellte Julio de Caro das Orchester vor, das den Tango fortan begleiten sollte. Bis dahin wurde Tango von kleinen Bands gespielt, die oft keine professionellen Konzertkünstler waren. Sie spielten Instrumente, die sie leicht zu den Milongas tragen konnten.

Julio de Caro erfand den Tanguero-Stil, sowohl die Musik als auch die Songtexte, und beeinflusste sogar die Wahl der Kleidung, das Haarstyling… aber das Orchester von Osvaldo Pugliese war der wahre Wendepunkt in der Tangogeschichte.

 

 

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Der Tango hatte also dank Osvaldo Pugliese seine Rolle in den 90er Jahren?

Osvaldo war ein großartiger Musiker und hatte sehr klare Vorstellungen darüber, was er erreichen wollte und wie er seine Ziele erreichen konnte.

Er war ein überzeugter Kommunist. Ich erinnere mich, dass er die Einnahmen eines Auftritts immer mit dem ganzen Orchester gleichermaßen teilte, aber er war auch äußerst sensibel und zwang seine Überzeugungen niemals denen auf, die mit ihm arbeiteten.

Tango Argentino Tanzkurs in München mit Roberto Herrera

Er war ein großartiger Anführer. Er wusste, wie man das Publikum fesselt und hatte großen Respekt vor seinen Musikern, die er dank Tourneen und Shows als Vollzeitmusiker anstellen konnte.

1990 war das Orchester von Osvaldo Pugliese auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Er war ein Visionär und pflegte zu sagen, Tango habe eine menschliche Stimme. Obwohl sein Orchester traditionell aus 8 Musikern bestand, beschloss er, einen Bratschisten und einen Cellisten sowie ein Tanzpaar in sein Ensemble aufzunehmen.

Er wünschte sich, dass seine Botschaft die neuen Generationen erreicht und entschied sich für junge Tänzer.

Für dieses Tanzpaar erwählte er uns, Roberto Herrera und Vanina Bilous, die lange Zeit meine Tanzpartnerin war.

Während wir mit Pugliese zusammengearbeitet haben, haben wir auf Bühnen auf der ganzen Welt getanzt und an wundervollen Touren teilgenommen, die bemerkenswert dazu beigetragen haben, dem Tango neues Leben einzuhauchen.

Osvaldo half unzähligen Künstlern, erfolgreich zu sein und professionell zu wachsen.

Unter dem Peronismus wurde er mehrmals ins Gefängnis gesteckt. Aber sein Orchester hörte nie auf zu spielen und fand einen Pianisten, der ihn vorübergehend ersetzen konnte. Aber wenn Osvaldo im Gefängnis war, wurde eine rote Rose auf das Klavier gelegt, als Zeichen, dass er immer bei uns war.

Die längste Zeit, die er im Gefängnis verbrachte, war 6 Monate. Als er raus kam, hielt er an seinen kommunistischen Überzeugungen fest. Peròn entschuldigte sich bei ihm und er nahm wieder seine Welttourneen auf.

Osvaldo starb 1995 und hinterließ ein riesiges künstlerisches Erbe, das jedoch hauptsächlich ein Beispiel für Talent, Beständigkeit und Stärke ist.

Seine Tochter Beba Pugliese und seine Enkelin Carla Pugliese führten das Erbe ihres Vaters weiter und brachten das Geheimnis und die Legende des Tango in die ganzen Welt.

Ich habe auch mit ihnen gearbeitet und es war mir ein Vergnügen.

 

 

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Wie hast du dich gefühlt, als du das erste Mal mit dem Orchester getanzt hast?

 

Roberto Herrera Tango in München Kurse und Privatunterricht

Ich wusste nicht, was ich tat. Als Pugliese mich als Tänzer auswählte, um etwas Neues in seine Show zu bringen, wusste ich nur, dass ich es schaffen konnte.

In der Nacht der ersten Show, als ich im Hintergrund auf den Beginn der Show wartete, begann das Orchester ein berühmtes Stück zu spielen und alle Zuschauer standen auf und klatschten im Rhythmus der Musik.

Es fühlte sich an wie bei einem Rockkonzert, nichts dergleichen war jemals zuvor passiert.

Ich war unheimlich aufgeregt und wusste, dass ich Zeuge einer neuen Ära wurde.


Als wir durch Europa tourten und in verschiedensten Städte wie Amsterdam, Madrid, Barcelona und viele andere auftraten, stand das Publikum auf und tanzte. Es war unglaublich.

 

 

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Es gibt verschiedene „Stile“ der Tangomusik: nostalgisch, fröhlich, sprudelnd. Welche Rolle spielen die Texte?

Tango wurde immer verwendet, um viele soziale Botschaften durch die Texte zu vermitteln.

Es geht oft um Gefühle, Alltag, verlorene Liebhaber, wiedergefundene oder streitende Freunde. Sie handeln von der Familie und repräsentieren Szenen aus der Realität.

Der Rhythmus der Musik stimmt jedoch nicht immer mit den Texten überein.

Manchmal finde ich es amüsant zu sehen, wie Tänzer mit einem Lächeln auf einem scheinbar fröhlichen Tango auftreten, ohne die Texte zu verstehen, die manchmal dramatisch sind.

 


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Stimmt es, dass die Frau von ihrem männlichen Partner „geführt“ werden muss?

Glücklicherweise hat sich die Rolle der Frau im Laufe der Zeit tiefgreifend verändert. In der Vergangenheit hatten Frauen keine Rolle, außer innerhalb ihrer Familie.

Mit der Emanzipation wurden sie selbstbewusster und entschlossener. Aus meiner Erfahrungen kann ich sagen, dass sich das auch im Tango widerspiegelt, da die Partner jetzt mehr interagieren.

Trotzdem liegt es immer noch in der Verantwortung des Mannes, den Tanz zu leiten und in der Verantwortung der Frau, sich von ihm führen zu lassen.

Das Paar entwickelt eine tiefe Beziehung, eine Harmonie, die es der Frau ermöglicht, sich völlig hinzugeben und sogar mit geschlossenen Augen zu tanzen.

Im Tango gibt es Konzepte, und das erste ist die Eleganz, die sich in den harmonischen Bewegungen der Tänzer, ihrer Haltung, ihren Gesten und sogar ihren Kostümen zeigt.

Es gibt Traditionen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und in den 40er Jahren zur Schaffung spezifischer Codes geführt haben: Bei der Kleidung gibt es beispielsweise eine „Tangofarbe“, die als ein bestimmter dunkelroter Farbton identifiziert werden kann, der normalerweise von Frauen getragen wird.

Eine leidenschaftliche, lebendige, verführerische und energiegeladene Farbe. Genau wie unser Tanz.

 

 

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Nachdem du auf der ganzen Welt aufgetreten bidt, hast du deine eigene Akademie und Kompanie gegründet. Was hat dich zu dieser Entscheidung geführt?

 

Die „Herrera Tango Academy“ entstand aus meinem Willen, meine Leidenschaft für Tango und die Freude, die sie mir bereitet, zu teilen.

Wir haben Hunderte von Shows in Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, der Türkei, Argentinien, Brasilien, Japan, Hongkong, Singapur und Bali abgehalten. Zum Glück haben wir immer einen großen öffentlichen Erfolg erzielt.

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Die Tango-Kompanie „Herrera Tango Company“ ist immer noch aktiv und tritt auf internationalen Bühnen auf. Tango ist auf der ganzen Welt sehr beliebt. Wenn man das letzte Jahr mitzählt, war ich bereits 19 Mal in Japan.

In Asien sind sie buchstäblich verrückt nach Tango.

 


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Warum?

Sie hörten nach dem Krieg Tangorchester im Radio, vielleicht weil sie etwas so düsteres fühlten wie ihre Stimmung darin.

Mit der Zeit entdeckten sie auch den Tanz und aufgrund ihrer strikten Erziehung und Kultur wurden sie ausgezeichnete, engagierte Schüler und hatten großen Erfolg.

Einer der letzten Tango-Weltmeister ist Japaner und gewann den Titel in Argentinien, dem Land des Tango! (Tango Escenario 2017, Axel Arakaki)

 

 

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Du hast dich dafür entschieden, deine Schüler, die keine professionellen Künstler sind, persönlich zu unterrichten. Mit deinem Fachwissen kannst du brillante Tangotänzer „heranziehen“ und ausbilden.

Unterrichten bedeutet für mich Kontinuität, es bedeutet, immer mehr Menschen zu zeigen, wie sie fühlen, wie sich ihr Körper bewegt, sich von der Musik tragen zu lassen und einfach Tango zu tanzen.

Ja, ich hätte nur professionelle Tänzer ausbilden können, aber das Unterrichten ist eine Berufung. Die Fortschritte der Anfänger, ihr Lächeln und ihre Zufriedenheit zu sehen, ist für mich pure Freude.

Es ist wunderbar, die Schüler zu begleiten, wenn sie einen Weg des persönlichen Ausdrucks entdecken. Wenn sie lernen, sich nicht nur zu bewegen, sondern auch die eigene Tango-Persönlichkeit zu finden.

 

 

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Und welche Rolle hat Italien in Ihrem Leben gespielt?

2005 warich zum ersten Mal mit meiner Kompanie in Italien.

Während wir das Land bereisten, kam Theatermanager Luigi Pignotti auf mich zu und sagte mir, er sei fasziniert von unserer Arbeit.

Kurz nachdem wir uns getroffen hatten, fand ich heraus, dass Luigi seit 25 Jahren Nureyevs Manager war.

Worte können nicht beschreiben, wie ich mich fühlte!

Ich bat ihn, mir jedes Detail über meinen Idol-Tänzer zu erzählen, der mich als Kind dazu inspiriert hatte, selbst professioneller Tänzer zu werden.

Das war ein Zeichen: Nureyev war zurück in meinem Leben, und Luigi Pignotti und ich haben viel zusammengearbeitet und wundervolle Shows produziert.

Italien ist ein gastfreundliches Land, das uns immer mit großer Liebe und Herzlichkeit empfangen hat.

In letzter Zeit habe ich mich hauptsächlich dem Unterrichten in Italien gewidmet, was, wie gesagt, für mich sehr sehr viel bedeutet.

Wir besitzen eine historische Akademie in Buenos Aires, wir haben eine weitere in Deutschland und auch in Italien gegründet. Bis  Ende 2019 arbeitete ich als Lehrer an zwei verschiedenen, sehr professionellen Orten in Mailand mit Laura Legazcue und halte jedes Wochenende Tanzworkshops in verschiedenen Städten ab. (...) Aktuell konzentriere ich mich mehr auf mein Familienleben in München, wo ich mit meiner Frau an einem gemeinsamen Projekt arbeite: eine neue Akademie, inklusive wöchentlicher Milonga. (Neu) (...)

Ich liebe es zu unterrichten, den Schülern zu helfen, zu wachsen, neue Choreografien zu erstellen, die meine große Leidenschaft sind, und Shows zu veranstalten, in denen sich meine Schüler ausdrücken können.

In diesem Jahr (2019) haben wir unseren Kurs mit einem Auftritt beim Intercultural European Exchange in Stuttgart abgeschlossen. Meine argentinischen, deutschen und italienischen Studenten waren eins, sie waren wirklich glücklich mit sich selbst und ich auch.

Wie Osvaldo Pugliese immer sagte: „Wir segeln auf dem riesigen Meer des Tangos“, und ich möchte, dass jede Form von Kreativität in diesem Meer frei wird.

 


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Hörst du beim Tanzen den Herzschlag deiner Partnerin?
Ja, das ist alles Teil meiner Erfahrung. Ich höre ihren Herzschlag und verstehe, wie sie sich fühlt - wenn sie angespannt, besorgt oder entspannt ist, und ich verhalte mich ruhig, wenn ich den Tanz führe, bis ihr Herzschlag wieder harmonisch ist.

Dann verlangsamt sich ihr Atem und folgt der Musik, sodass sich ihr Körper frei bewegen und ausdrücken kann.

 


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Was bedeutet Tango für dich?

Eine lebendige Kunst, die sich ständig bewegt.

Tango ist Freiheit. Man fängt oft an zu tanzen, hört die Musik, „fühlt“ die Person, die mit einem tanzt und in diesem Moment, nur in diesem Moment, weiß man, was zu tun ist.

Es ist ein einzigartiger, einmaliger Moment.

Tango ist ein Weg, Existenz, Leben, Liebe und Tod zu erleben.

Tango ist grenzenlos.


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Text: Emanuela Zini, 
Übersetzung und Ergänzungen: Ani Andreani